Margrit Wollmann


Zeitzeugin: Margrit Wollmann

Von Plumpsklos und Vogelschießen

Ich wurde 1943 als Margrit Lutz in Lübeck geboren. Als wir Pfingsten 1950 mit dem Umzugswagen von Lübeck kommend in den Rehkamp der Waldsiedlung in Dassendorf einbogen, weigerte sich der Fahrer zunächst, weiter zu fahren. Der Weg bestand nur aus Furchen und Schlaglöchern, mit Schlamm und Wasser gefüllt. Nur mit Mühe konnte mein Vater ihn überreden, noch das letzte Stück zu bewältigen. Ich saß auf der offenen Ladefläche auf unserem Sofa und hielt krampfhaft das Radio zwischen den Armen geklemmt. Langsam, stark nach links und rechts schwankend schaffte der LKW die letzten Meter zu unserem Grundstück.

Nun erwartete uns ein anderes Leben, als wir es aus der Stadt kannten.

Anlieferungen, besonders von Sand, oder gelegentliche Müllbeseitigung erledigte damals eher ein Pferdefuhrwerk. In der Regel war das August Siemsen, den kannte hier jeder. Autos gab es nur wenige. Im Rehkamp gab es kaum feste Häuser. Die meisten waren nur für die Wochenenden oder die Ferien gedacht, aber sie hatten große Gärten für Obst und Gemüse.

Viele von ihnen wurden an Flüchtlinge verkauft, die ihre Heimat im Osten verloren hatten und sich durch den Lastenausgleich eine neue Heimat schaffen konnten. Auch wir haben von unserem alten kleinen Kriegsbauhäuschen zwei Zimmer für eine Flüchtlingsfamilie abgeben müssen. Später bauten sie sich in Dassendorf ein eigenes Haus.

Noch war Wohnraum knapp. Als „Keller" hatte unser Häuschen ein Loch im Boden mit einer Holzklappe darüber. Heute ist sie mit einem Fußbodenbelag abgedeckt und wird nicht mehr genutzt. Damals war wichtig, dass das Eingeweckte kühl gelagert werden konnte. Einen Kühlschrank hatte kaum jemand.

Wir kamen mit wenig Geld zurecht. Im Rehkamp waren wir die einzigen, die neben Federvieh und Kaninchen auch ein Schaf hielten. Es begnügte sich nicht nur mit dem Grün, das es hinter dem Haus gab. Ich war dafür zuständig, Löwenzahn und was es noch so mochte, am Wegesrand zu besorgen. Es lieferte reichlich Fleisch, das meine Mutter einweckte. Was wir darüber hinaus benötigten, konnten wir am Müssenweg im „Tante-Emma“-Laden von Familie Einfeld kaufen.

Hinter dem Haus auf der Koppel haben wir Gemüse angebaut. Den Dünger lieferten unsere Nutztiere, aber auch das „Plumpsklo“ hinter dem Haus, das damals noch die meisten hatten. Dahin mussten wir auch in der Nacht schleichen; egal, wie das Wetter war. Das stärkte auch die Abwehrkräfte. Wer muss, der muss eben!

Das Wasser für alle Notwendigkeiten lieferte eine Pumpe auf dem Hof. Wir bemühten uns, mit möglichst wenig Kohle zum Heizen auszukommen. Das war nicht leicht bei einfachen Glasscheiben in den Fenstern. Die Häuser waren ja auch nicht so isoliert wie heute. Beim Förster besorgten wir uns regelmäßig einen Sammelschein für Holz. So war es erlaubt, trockene Äste aus dem Sachsenwald nach Hause zu bringen.

Wenn man nach Hamburg wollte, musste man zu Fuß durch den Wald bis Aumühle laufen oder die schlechten schlammigen Straßen durch den Ort bis zur B207. Nur dort fuhr damals der Bus. Wenn wir uns für Aumühle entschieden hatten, freuten wir uns immer, wenn wir das „Hexenhaus“, das Haus mit den Märchenbildern an den Fensterläden, erreicht hatten. Nun wussten wir, der Bahnhof ist nicht mehr weit.

Zum Spielen ging es in den Wald. An der fünfstämmigen Buche war unser Spielplatz. Da sie jeder kannte, konnte man sich dahin leicht verabreden. Im Sommer suchten wir Pilze und Blaubeeren. Das war toll!

Um zur Schule zu gelangen, mussten wir bei Wind und Wetter über Feldwege ins Dorf laufen. Ein Fahrrad hatten nur wenige. In einer alten Dorfkate und einer weißen Villa gegenüber waren unsere Schulräume. Vormittags und nachmittags, jeweils für zwei Schulklassen, gab es Unterricht.

Den Umzug in die neue Schule habe ich auch erlebt und freute mich über den Unterricht bei Lehrer Schmidt.

Nachmittags durfte ich mich gelegentlich auch um die damals kleinen Brüder der heutigen Bürgermeisterin kümmern. Deren Eltern zahlten mir dafür mein allererstes Taschengeld. Ich habe sie mit Essen versorgt und spazieren gefahren. Von den Blaubeeren haben sie aber nichts abbekommen und von den Pilzen erst recht nicht!

Aufregend war immer das „Vogelschießen“ in Dassendorf und noch aufregender der Schuss in den Bauch meiner Mutter. Billy Mo, der Sänger, war zu Besuch und übte auf der Koppel hinterm Haus das Schießen. Meine Mutter wartete am Gartenzaun auf eine Lieferung Steine. Da gab es einen Aufschrei von ihr und ein Projektil steckte im Bauch. Innere Organe waren nicht verletzt, was für ein Riesenglück für Billy Mo und noch mehr für unsere Mutter. Sie bekam eine Entschädigung und wurde „berühmt"!

So konnte sie dann wieder schimpfen, wenn ich mich mit dem neuen Kleid, dass extra für das Vogelschießen gekauft wurde, auf den dreckigen Tanzboden geworfen hatte.

Aber ich Wirbelwind war auch einmal Königin geworden; hatte zum neuen Kleid auch noch einen wunderschönen Blumenbogen getragen. Die Blumen (psssst) waren teils aus Nachbars Garten!

Damals bekam die Königin als Gewinn Stoff für ein Kleid. Das war dann der Anfang für ein Hobby, denn das Nähen habe ich mehr als 65 Jahre bis heute nicht aufgegeben.

Ich wohne seit vielen Jahren in Börnsen, aber meine Familie lebt teils immer noch im Rehkamp: meine Schwester und eine meiner Töchter! Meine Schwester singt im Chor und meine Tochter kocht im evangelischen Kindergarten. Sie sorgen sich um die alten wie auch um die jungen Dassendorfer/innen!

Margrit Wollmann

Fotos: privat

BU: Vogelschießen, ich bin die junge Frau vorne rechts am Blumenbogen.

BU: Rehkamp, hier habe ich gelebt

BU: Margrit Wollmann im Jahr 2024

BU: Blick vom Garten zu den Nachbarn

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